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Die Freudentränen kullerten an der Siegessäule

Die 18-jährige Pauline Geier lief den 30. Berlin-Marathon mit

Autor
Franziska Freiwald
 
Datum
01/10/2003
 
Quelle
Lausitzer Rundschau
 
Stichworte
pauline geier
laufen
Foto/Abbildung
Franziska Freiwald

Pauline Geier ist beim nächsten Berlin-Marathon wieder dabei.

Hintergrund - Bei Kilometer 42 war’s

Eine der Geschichten über den Namen des Marathons lautet: Vor 2493 Jahren überbrachte ein Läufer den Athenern die Nachricht, dass sie die Perser im Ort Marathon besiegt haben. Nach genau 42,195 Kilometern kam der sportliche Bote in Athen an und soll tot zusammengebrochen sein.

Finsterwalde. Im Sportunterricht wird man jedes Jahr wieder genötigt zweieinhalb Runden im Stadion zu laufen, dann hat man seine 1000 m hinter sich, ist im Normalfall völlig am Ende und winselt um Wasser. Wie mag es wohl einem Menschen ergehen, der 42 km also umgerechnet 105 Stadionrunden zu Fuß und im Laufschritt bezwingt? Fachlich korrekt heißt jene Selbstüberwindung: Marathon.

Was bringt jemanden überhaupt dazu, so etwas freiwillig zu tun? Um dieses Rätsel zu lösen, begleitete ich Pauline Geier aus Lindena bei den wichtigsten Momenten ihres ersten Marathons. Das war der 30. Berlin-Marathon am vergangenen Wochenende. Die 18-jährige Schülerin genoss nicht zum ersten Mal die mitreißende Stimmung des alljährlichen Berlin-Marathons.

Seit sieben Jahren tritt sie im Laufteam des Sängerstadt-Gymnasiums beim Mini-Marathon an. Dabei hatte sie dann aber nur 4,2 km zurückzulegen. Jedes Jahr stand sie anschließend als Zuschauer am Rand und feuerte die eintreffenden Marathon-Läufer an. Mit einer Mini-Marathon-Kumpanin träumte sie dabei, und plötzlich kam ein fataler Satz über ihre Lippen: «Wenn wir 18 sind, machen wir da auch mit!»

Das war dann beschlossene Sache, und dieses Jahr konnte sie sich nicht mehr drücken. Pauline ist ein alter Hase im Bereich der sportlichen Betätigung: Fast zehn Jahre ist sie nun schon Mitglied im Neptun 08 und trat als Triathletin bereits beim Jugend-Europa-Cup an. So reichten sechs Monate intensiver Vorbereitung – unter Betreuung ihrer Trainerin Marlies Homagk – für ihren 1. Marathon aus. Der 28. September sollte dann nicht nur der Tag werden, der dem Kenianer Paul Tergart den Weltrekord einbrachte (2:04:55 Stunden), sondern auch der von Paulines Premiere.

Vor dem Lauf war sie völlig ruhig, so als wäre sie nur zum Zuschauen da, aber ein am Schuh befestigter Chip, der beim Überqueren einer Matte am Anfang des Laufes die Zeit nimmt, verriet sie. „Der Start war ziemlich chaotisch“, meinte Pauline. Weil 34 999 weitere Läufer mit ihr starteten, ging es noch nicht gleich flüssig vorwärts. Bei Kilometer 20 feuerte ich sie an, sie sah erstaunlich frisch aus. Unterwegs gab es immer wieder Stände mit Bananen und Wasser, um die Kräfte aufzuladen. Aber es gab auch einen enormen Motivationsbedarf zu decken. Hierfür waren die fast eine Millionen Zuschauer zuständig. Mit Klatschen, Kreischen, Sprechchören, Trillerpfeifen und Plakaten wurde den Läufern Beine gemacht. «Quäl dich, du Sau!» war eine der direktesten Botschaften der Transparente.

Während Pauline eine gehörige Strecke bis zu Kilometerpunkt 35 zurücklegen musste, hatte ich nur in die nächste Straße einzubiegen. Pauline hatte dafür aber eine schönere Tour, es war ein bisschen wie „Sightseeing“ als sie durchs Regierungsviertel, vorbei am Fernsehturm oder über den Potsdamer Platz lief. Endlich kam die Siegessäule in Sicht, da kullerten bei «Paule» die Freudentränen. Da war sogar noch ein kleiner Endspurt drin. 42,2 km lagen hinter ihr und der Chip stoppte eine Zeit von bemerkenswerten 4:18 Stunden. Sie war 19 823ste.

Es müssen wohl die sofort eintretende unbeschreibliche Befreiung und der gleichzeitige Glückshormonausstoß sein, die zum Marathon bewegen, das Gefühl, es geschafft zu haben. Rätsel gelöst. Im Ziel standen den Läufern dann übrigens 360 Masseure zur Verfügung, das hatten sie sich verdient. Pauline will nächstes Mal wieder hin.